Es war ein schöner, lauer, sonnendurchfluteter Frühsommertag. Kauno und ich lagen zufrieden und glücklich in unseren wunderbaren, weichen Sofas auf dem Balkon von Herrlis Wohnung. Bevor er die Wohnung verlassen hatte, hatte er uns beiden noch reichlich Futter und Wasser hingestellt, Brekkies aufgefüllt und die Katzenklappe kontrolliert. Er gab uns zu verstehen, dass er heute über Nacht wegbleiben würde und uns deshalb die grosse Menge an Fressen bereitgestellt hatte.
Eigentlich wusste ich ja sehr wenig über Kauno. Ich fragte ihn nicht aus, und er erzählte von sich aus nicht viel. Wir waren zwar unvergleichliche Kumpel, aber im Grunde wussten wir wenig voneinander. Doch an diesem Tag packte mich die Neugier, und ich fragte Kauno kurzerhand, wie eigentlich sein Leben bisher verlaufen wäre, und vor allem, wie alt er sei. Das ist bei Katzen sehr wichtig, denn mit zunehmendem Alter bleiben manche von uns nicht immer gesund.
Also fragte ich Kauno: “ Sag mal, wie bist du denn damals hier in den Park gekommen?“
Er zwinkerte mit den Augen und fing an zu erzählen: „Dass du mich das jetzt erst fragst, Benny, wundert mich ein bisschen. Schliesslich kennen wir uns ja schon eine Weile“. – „Also gut, wo soll ich anfangen“, schnurrte er vor sich hin. „Na, am besten am Anfang deines Katzenlebens“, gab ich ihm zu verstehen.
„Ok, dann hör gut zu“, sagte er in seiner unnachahmlichen Art. “ Ich wurde vor ca. 3 Menschenjahren auf einem Bauernhof geboren. Meine Mutter hatte damals 4 kleine Kätzchen geworfen, wovon nur meine Schwester und ich überlebten. Meine Schwester wurde schon damals im Alter von 2 Menschenmonaten, also ca. 2 Katzenjahren, an eine liebe Dame in Wien vergeben. Was aus ihr geworden ist, kann ich nicht sagen. Ich jedenfalls blieb noch eine Weile bei meiner Mutter. Sie lehrte mich vieles, Mäuse jagen am Bauernhof, Futter besorgen, Körperpflege und vieles mehr. So wurde ich immer selbständiger. Bis dann ein Menschenkind auf dem Bauernhof Ferien machte. Dieses Menschenkind wollte mich unbedingt mitnehmen, und als die Ferien zu Ende waren, fuhr ich in einer Tragetasche mit diesem Menschenkind und seinen Eltern in die Großstadt.
Auf unserem Bauernhof gab es viele Tiere. Hühner, Enten, Schweine, Gänse, Hasen und auch Grosstiere wie Kühe und Pferde. Mit allen war ich bestens vertraut, aber in der Großstadt zu leben, war mir fremd. Kein Auslauf, keine Freiheit, keine eigenen Entscheidungen zu treffen, war mir nicht in die Wiege gelegt, und auch nicht von meiner Mutter beigebracht worden. Meine Erziehung zur Selbständigkeit hatte mich gelehrt, für alle meine Entscheidungen die Verantwortung zu tragen. Da ich aber von dem kleinen Mädchen, deren vielbeschäftigte Eltern sich wenig um sie kümmerten, nur als Spielobjekt angesehen und behandelt wurde und ihr Interesse an mir nach kurzer Zeit deutlich nachließ, riss ich eines Tages aus, als die Wohnungstüre offen stand und niemand auf mich aufpasste. Ich war damals ca. 2 Menschenjahre, also so 22 bis 23 Katzenjahre alt, und war vorerst mal froh, in Freiheit leben zu können. Die Parks der Umgebung waren meine Welt. Ich ging auf Futtersuche, und meine Schnelligkeit war mit deiner vergleichbar. Ich war aber auch schlau genug, in den von Menschen betitelten „Schanigärten“ um Futter zu betteln. Oft boten mir die dort sitzenden und speisenden Menschen gutes Fressen an, aber so gute und schmackhafte Sachen, wie sie dir dein Herrchen immer gegeben hatte, bekam ich natürlich nie. Und so blieb mein Lebensraum der Park, hier hatte ich meine Freiheit, die ich über alles schätze. In diesem Fall sind wir beide wohl unterschiedlich. Dass ich dich dann hier als meinen Katzenkumpel getroffen habe und wir uns jetzt so gut verstehen, war für mich ein Geschenk. Später, im fortgeschrittenen Leben, würde ich vielleicht auch ein fixes Plätzchen diesem meinem jetzigen Leben vorziehen.“
Sprach‘s und schlief ein. Tief und fest ruhte Kaunos Körper in dem weichen Polster auf dem Sessel, der jetzt sein Schlafplatz zu werden schien. Seine Wunde an der Vorderpfote war schon verheilt, und seine kleine Katzenseele war auf dem besten Weg, ganz zu genesen.
Ich blickte Kauno, meinen Katzenfreund, lange an. Er war wirklich anders als ich, und ich konnte nicht ganz verstehen, wie er mit seinem unsteten Leben zurecht kommen konnte….aber ich musste ja nicht alles verstehen; es genügte, wenn ich sah, dass er glücklich war.