Das Katerfrühstück war wieder vom Feinsten. Kauno und ich schlugen uns den Bauch voll und legten uns anschliessend in die warme Frühlingsonne auf den Balkon. Der Balkon war ja so etwas wie unsere kleine private Welt, und keine der anderen Katzen durfte diese friedliche Idylle stören. Mein Kumpel und ich lagen also mit geschlossenen Augen in unseren Fauteuils und dösten so vor uns hin, als wir beide plötzlich ein leises Rufen hörten. Natürlich war es ein „Miauen“, aber für uns war die Botschaft dieser Katzenstimme ganz klar zu erkennen. Da ging es einem Artgenossen nicht gut, denn die Stimme klang verzweifelt.
Wir beide, Kauno und ich, blickten gleichzeitig hoch. Was war das? Von wo kam dieser Hilferuf einer Katze? Nachdem wir von unseren Liegen gesprungen waren, gingen wir zum Balkongeländer um nachzusehen, was da im Park vor sich ging. Es war eine Ansammlung von Katzen zu sehen, die sich um eine andere Katze scharten und dabei kätzisch lachten. Das Katzengelächter folgte dem Hilferuf dieses Artgenossen, der in der Mitte dieser Menge sass und nicht wusste, wie ihm geschah. Panisch vor Angst rief dieses Wesen um Hilfe. Ich zögerte nicht lange und sprang mit einem weiten Satz auf den Baum und dann sofort in den Park, um genauer zu untersuchen, was sich da abspielte. Kauno folgte mir etwas langsamer und bedächtiger, aber dennoch neugierig, um zu erkunden, warum alle Katzen lachten.
Mein Auftritt in der Katzenrunde hatte zur Folge, dass alle anwesenden Katzen sofort mit dem Lachen aufhörten. Ich ging zu Mingo, einem meiner engeren Kumpel, der etwas abseits stand, und fragte, warum die anderen so lachten. Er deutete nur still auf das kleine, arme Katzenwesen, das in der Mitte des Kreises sass und fürchterlich weinte. Für Menschen hörte es sich vielleicht an wie ein langgezogenes „Miauuuuu“.
Ganz ruhig ging ich in den Kreis zu dieser traurigen Katze, stellte mich kurz vor und fragte, was denn los sei. Ich sah schon, dass sie ziemlich abgemagert und struppig aussah, und dass es ihr offensichtlich nicht gut ging, aber Genaueres wollte ich eben durch meine Fragen erfahren. Und ich sah auch, dass es eine kleine Kätzin – also eine weibliche Katze – war.
Zunächst gab es ein Donnerwetter meinen Artgenossen gegenüber. Ich erklärte in bestimmtem Ton, dass es sich nicht gehört, über eine andere Katze zu lachen – und schon gar nicht dann, wenn man sieht, dass es ihr schlecht geht. Langsam und leise schlichen alle davon, teilweise mit gesenkten Köpfen. Ja, da war ich froh, dass ich eine Autorität im Park geworden war.
Ich fragte die Katze zunächst mal vorsichtig nach ihrem Befinden und warum sie so mager und struppig wäre – und da fing sie an zu erzählen. Es war eine traurige Geschichte, die mir Raja – das war ihr Name – in knappen Worten erzählte, immer wieder unterbrochen von Heulkrämpfen. Ich tröstete sie fürsorglich, legte meinen Schwanz um sie – was sie sehr beruhigte – und wir setzten uns unter einen grossen Baum. Kauno war immer hinter mir und beobachtete alle meine Aktivitäten. Mir fiel die sanfte Art auf, mit der er die fremde Kätzin anblickte.
„Nun erzähle, was ist passiert?“, sprach ich zu ihr. „Und hab‘ keine Angst, ich bin Benny, und das ist Kauno. Wir leben dort oben in der Wohnung mit dem grossen Balkon. Der Baum davor ist unsere Leiter, damit wir schnell in den Park und wieder retour springen können. Du bist, wie ich von den anderen erfahren habe, Raja, die Tochter der österreichischen Schönheitskönigin mit Stammbaum, aber was ist dir passiert, dass du so ausgehungert und struppig bist?“
Jetzt hatte sich Raja gefasst und begann zu erzählen: „Meine Mutter hatte gerade bei der Katzenausstellung vor 2 Menschenjahren den 1. Preis gemacht, als sie rollig wurde. Niemand hat bemerkt, dass ein normaler, aber hübscher Kater auf sie aufmerksam wurde. Als ich, zusammen mit meinen 4 Geschwisterchen auf die Welt kam, wurden wir wenig später weggegeben. Wir waren zwar noch ein paar Wochen bei unserer Mutter, aber nach zirka 6 Wochen, als wir schon grösser und selbständiger waren, in einer Katzenhilfsorganisation – so nennen es die Menschen – abgegeben. Dort wurden wir weiterhin betreut und grossgezogen und später an gute Plätze vergeben. Ich lebte einige Zeit in einem Haushalt mit Hund und Kind, aber die Eltern des Kindes mussten in ein fernes Land übersiedeln und konnten, oder wollten, mich nicht mitnehmen. Als ich das erfuhr, und dass ich in ein Tierschutzhaus kommen sollte, bin ich einfach ausgerissen. Besser in einer fremden Umgebung zu streunen, als eingesperrt in einem Käfig zu sitzen. Später habe ich es bereut, aber da war es schon zu spät. Ich war, und bin es immer noch nicht gewohnt, als Freigängerin zu existieren und als kleine, zarte Wohnungskatze in der freien Welt oder im Park zu überleben. Das habe ich nie gelernt. Ich bin jetzt schon mehrere Tage ohne Futter, habe immer wieder versucht, in einige Container zu schlüpfen, aber die anderen hatten mir immer alles vor der Nase weggeschnappt. Was sollte ich denn tun? Ich kam in diesen Park, weil ich hörte, dass hier alles in Ordnung sein sollte – und dann das ? Sie haben mich gesehen und sich über mich lustig gemacht“… Raja fing wieder zu heulen an.
„Hör zu“, sagte ich zu ihr, „du bekommst deine Mahlzeit. Ich werde dafür sorgen, dass du etwas zu essen bekommst – ich fange dir was“. Kaum hatte ich das zu der kleinen Raja gesagt, sprang Kauno davon, um wenig später mit einer fetten Maus zurück zu kommen, die er Raja vor die Füsse legte. Wortlos drehte er sich um, und ich sah, dass es ihm peinlich war, mit meinem Lob umzugehen. „Woww“, sagte ich. „Kauno, du bist ja fast so schnell wie früher. Alle Achtung, ich denke, dass du das sehr gerne für Raja gemacht hast.“ Ich merkte natürlich, dass er an der kleinen Kätzin Gefallen gefunden hatte, doch wissen konnte ich noch nicht, was sich daraus entwickeln würde…. aber das ist eine andere Geschichte.