Die Nacht nach dem ersten Wettkampftag verlief in wunderbarer Harmonie. Kauno konnte lange Zeit nicht einschlafen und turnte im Hotelzimmer hin und her, sodass Herrchen schon mal den einen oder anderen Ordnungsruf los liess. Endlich beruhigte sich mein Freund, und wir hatten für den Rest der Nacht komplette Ruhe.

 

Früh am Morgen gingen wir wieder zur nahen Wettkampfstätte und bereiteten uns auf die zweiten Ausscheidungskämpfe vor. Noch wussten wir nicht, welche Disziplin heute zur Auslosung stand, aber wir wärmten uns nach den Anweisungen unseres Besitzers auf.

 

Die Wahl des Komitees fiel auf die Disziplin 100 Meter Sprint, und das war für mich ein grosses Glück. Für Kauno weniger, denn er hatte ja ein Handicap wegen seiner rechten Vorderpfote, die seinerzeit durch den Biss verletzt worden war und genäht werden musste. Aber mein Kumpel war guter Dinge, denn er hatte schon seine erste kleine Goldmedaille um den Hals und ich die Silberne. Kenzo aus Deutschland durfte sich die kleine Bronzene umhängen. Unser grosser Favorit aus Amerika kam nur auf den – für ihn enttäuschenden – vierten Rang. Aber er trug es mit Fassung und hoffte auf die anderen drei Bewerbe, bei denen er sich weiterhin grosse Chancen ausrechnete.

 

Die Vorläufe im Sprint waren richtig spannend. Ich hatte diesmal Losglück und kam mit sehr guten Startern in eine Gruppe. Aufgrund dessen wurde ich von Anfang an gefordert und konnte meine Leistung voll entfalten. Überraschenderweise konnte ich meinen Vorlauf mit fast einer Sekunde Vorsprung für mich entscheiden. 10,04 standen auf der Stoppuhr, was nur 0,44 Sekunden über dem Weltrekord von Johnny Cat gelegen war. Er lief den Sprint in seiner Gruppe in beneidenswerten 9,95. Und wieder hatte ich das Gefühl, dass er sich schonte. Kauno hatte nach seinem Vorlauf-Sprint, wo er nur Achter wurde, Schmerzen in seiner rechten Vorderpfote und wimmerte ein wenig. Er ging zu unserem Herrchen und hielt ihm die verletzte Pfote hin, worauf sie vereist wurde, damit die Schmerzen erträglich blieben. Traurig blickte er mich an. Er hatte sich zwar für das Finale qualifiziert, aber Chancen rechnete er sich nicht aus. Ich tröstete ihn damit, dass ich ihm nochmals zur „kleinen Goldenen“ gratulierte, worauf er wieder seine Augen zusammen kniff und somit lächelte.

 

Das Finale kam. Man muss sich das folgendermassen vorstellen: Es gibt 8 kleine U-förmige Tunnel und am Anfang des Sprints kleine Käfige, wo wir vor dem Start darauf warten müssen, bis die Türe geöffnet wird, damit wir dann die Strecke in Angriff nehmen können. Es sind hier rasche Reaktionen gefragt und eine gehörige Schnellkraft, aber auch gesunde, muskelbepackte Vorderläufe, die in perfektem Einklang mit den Hinterläufen ein homogenes, schnelles Rennen zulassen. Bei den Menschen gibt es das auch in einer ähnlichen Form bei einem Ski-Parallel-Slalom.

 

Sechzehn Mitstreiter hatten es geschafft, darunter viele neue Namen, auch viele neue Nationen und mir völlig unbekannte Konkurrenten. In meinem Lauf hatte ich es mit sieben anderen Katern zu tun, von denen ich nur einen kannte – meinen lustigen Freund Kenzo. Er wartete neben mir in der Startbox auf die Freigabe zum Lauf. Ich war schon nervös, wusste aber um meine Qualitäten, und wenn ich jetzt nicht meinen Lauf gewinnen würde, hätte ich auch keine Chancen auf eine Medaille im Gesamt-klassement. Der Druck war gross, aber der ewig lächelnde Kenzo gab mir zu verstehen, dass ich wohl der Favorit in dieser Disziplin sei, besser noch als Johnny aus Amerika. Ich zweifelte nicht an meinen Qualitäten im Sprint und an meiner Schnelligkeit, aber würde ich in diesem Semifinal-Lauf wirklich meine Stärke abrufen können?

 

Die Sekunden vor dem Start wurden zur kleinen Ewigkeit, und ich konnte es jetzt nicht mehr erwarten, bis die Türen der Boxen aufflogen und wir endlich das abrufen konnten, was wir monatelang trainiert hatten.

 

Meine Box flog auf, und ich stürmte davon. Neben mir Kenzo, der mit mir mithalten konnte. Auf der anderen Seite „Ziro“ aus Kroatien, von dessen Laufqualitäten ich schon gehört hatte, der aber gegen Ende des Runs etwas zurück fiel. Ich lief jetzt mit Kenzo Kopf an Kopf, und er trieb mich zur bisherigen Bestleistung an. Wir flogen beide fast Kopf an Kopf durch die Zielschranke, und mein erster Blick war auf mein Herrchen, der Zweite auf die Zeittafel gerichtet. Schon beim Blick auf mein Herrchen hatte ich ein gutes Gefühl, denn er lächelte glücklich. Ich hatte mit 9,82 Sekunden vor Kenzo in 9,84 Sekunden den Semifinallauf gewonnen. Ich war glücklich wie noch nie, aber noch war ich nicht am Ziel. Der zweite Lauf mit Kauno und Johnny, sowie mit weiteren sechs Katern, musste noch gelaufen werden, und da blickten jetzt alle auf die Wettkampfstätte.

 

Mein grösster Konkurrent im Sprint war ja der amerikanische Kater, der schon 9,60 gelaufen war und Weltrekord hielt. Aber würde er wieder so schnell laufen können? Irgendwie schien er mir nicht mehr so stark wie im Vorjahr, als er Olympiasieger wurde. Wir Katzen haben jedes Jahr ein grosses Event – die Katzenolympiade – nicht so wie bei den Menschen, die sich dazu nur alle 4 Menschenjahre treffen. Da wir Katzen rascher altern, haben wir eben jedes Jahr eine Olympiade. Aber das nur so nebenbei.

 

Der zweite Semifinallauf startete bald darauf, und in diesem Vorlauf war auch Toro aus Osttirol qualifiziert. Auch er war ein sprintschneller Kater und hatte sicher auch Chancen auf einen guten Platz. In diesem Lauf waren neben „Toro“, „Kauno“ und „Johnny“ auch noch Piilla Kaununnen, der finnische Meister, mein Freund Kätzli aus der Schweiz, Bengal Bengali, Akiro Haio aus Japan und ein sehr junges Talent aus Ungarn, Geza Töltö, am Start… Ich hatte von diesem jungen Kater schon einiges gehört, ihn aber noch nie in Action gesehen. Auf dieses Talent war ich richtig neugierig und fragte mich, wie es ihm ergehen würde. Anscheinend wurde er gut trainiert, denn mit eineinhalb Menschenjahren – also cirka 18 bis 19 Katzenjahren – in eine Olympiaqualifikation zu kommen, ist nicht so leicht.

 

Die Türen der Boxen gingen auf, und alle stürmten los. Kauno war kurzzeitig an erster Position, fiel am Ende etwas zurück, konnte jedoch in diesem Semifinallauf den äussert guten vierten Rang in 9,99 Sekunden erreichen und war somit im alles entscheidenden Finale. Mit ihm war noch am dritten Platz – für mich sehr überraschend –  unser Freund aus Osttirol, mit hervorragenden 9,96 Sekunden. Den Sieg holte sich erwartungsgemäss Johnny Cat in 9,83 vor Bengal Bengali in 9,90.

 

Wir analysierten mit unserem Herrchen gemeinsam unsere Läufe. Kauno rechnete sich keine allzu grossen Chancen aus, da ihm seine rechte Vorderpfote sehr zu schaffen machte und er unter Schmerzen litt, aber er musste ja noch zum Finallauf antreten. Doch ein achter Platz in seiner schwächsten Disziplin wäre schon auch ein grosser Erfolg für ihn.

 

Jetzt ging es ums Ganze. Der Finallauf wurde aufgerufen – der Höhepunkt des heutigen Tages. Ausser mir, Kauno und Toro waren noch qualifiziert: Johnny Cat, Bengal Bengali, Kenzo von Katzendorff, Carlo Panutto, ein sehr sprintstarker Kater aus Italien und Gregorios Katzaros, der griechische Staatsmeister im Sprint.

 

Kauno und ich gingen Seite an Seite zu den Startboxen, blickten uns noch kurz an und konzentrierten uns dann auf den Start. Es wurde ganz leise auf der Spielstätte und die Spannung wuchs. Wer würde sich heute die kleine Goldmedaille im Sprint holen?

 

Die Türen gingen auf, und acht Kater stürmten hinaus. Ich hatte einen exzellenten Start erwischt und war in der Hälfte des Rennens knapp vor Johnny. Ich spürte seinen Druck, und links neben mir lief wieder mein deutscher Mitstreiter Kenzo. Johnny Cat und ich lieferten uns ein gnadenloses Duell. Ich wusste nicht, was mich vorwärts trieb; ich dachte in diesem Moment an meine Bella, die zu Hause wohl auf mich wartete und mir die Pfoten drückte. Ich wusste auch, dass dies meine letzte Olympiade war und dass ich dann für immer aufhören und für Bella da sein würde. Aber noch war es nicht soweit, und meine Gedanken waren die letzten 50 Meter bei ihr. Herrchen würde sofort nach Hause telefonieren, wie es mir bei meiner Spezialdisziplin ergangen war, und Ines, seine Freundin, würde es dann unseren Katzenmädchen erzählen.

 

Die Zielschranke kam immer näher, und neben mir keuchten Johnny und Kenzo. Im Nachhinein betrachtet, trieben mich die beiden auch zu meiner Höchstleistung. Niemals in meinem doch schon längeren Katzenleben war ich schneller unterwegs gewesen, niemals mit einer so grossen Unterstützung in einen Wettkampf gegangen. Kauno war leider abgeschlagen auf dem – für ihn wunderbaren – siebenten Platz gelandet. In diesem Klassefeld siebenter zu werden, war wohl aller Ehre wert, wenn man seine Verletzung an der Vorderhand berücksichtigte. Ich dachte, er hätte sich damit selbst übertroffen. Seine Zeit war wieder gleich wie im Semi-Finale ….9,99 Sekunden.

 

Im Ziel blickten wir alle gespannt auf die Zeittafel – und da stand es Gelb auf Schwarz. Ich hatte mit einer Hundertstel Sekunde vor meinem schärfsten Konkurrenten Johnny Cat gewonnen (9,66 Sekunden). Meine Zeit war knapp unter dem Weltrekord von 9,60 Sekunden. Nur fünf Hundertstel fehlten zu diesem einmaligen Rekord meines amerikanischen Kollegen, aber ich war glücklich wie noch nie. Ich hatte meine erste kleine Goldene. Meine Zeit: unglaubliche 9,65 Sekunden. Jetzt dachte ich an Bella und an meine Zukunft. Alles, was jetzt noch kommen würde, war nur mehr Draufgabe. Überraschend holte Kenzo Bronze in seiner persönlichen Bestleistung von 9,72 Sekunden, noch vor dem indischen Kater Bengal Bengali, der 9,80 erreichte. Fünfter wurde Carlo Panutto in beachtenswerten 9,84, sowie am sechsten Platz unser österreichischer Freund Toro, der sich auch ausgezeichnet geschlagen und 9,93 erreicht hatte, was auch seine persönliche Bestleistung war. Kauno mit 9,99 auf Platz 7 und Gregorios Katzaros mit 10,03 komplettierten das Ergebnis.

 

Es war wieder ein wunderbarer Tag für uns gewesen, und unser Herrchen und Trainer war so begeistert, dass er sofort zum Telefon griff und die Freudenmeldung nach Hause durchgab. Ines erzählte – wie ich später erfuhr – den beiden Katzendamen von unserem Abschneiden, und Bella sowie Raja waren ausser sich vor Freude.

 

Eine Weile nach unserem Sprintrennen, das so fantastisch für mich ausgegangen war, wurden wir zur Siegerehrung gerufen. Noch am Treppchen sagte Johnny Cat zu mir: “ Ich gratuliere dir; dass du mich heute geschlagen hast, hätte ich nie und nimmer erwartet. Ich dachte, ich wäre im Sprint unschlagbar, aber du hast mich eines Besseren belehrt. Ich habe zwar trainiert wie besessen, aber du offensichtlich noch besser. Hut ab, Benny, meine Anerkennung hast du, und dein Kumpel ist ja ein ganz toller Typ. Vor dem habe ich im Hochsprung wirklich Angst, dass er mich schlägt“.

 

Kenzo von Katzendorff freute sich über seinen dritten Platz im Sprint und versprach uns noch am Treppchen einen fairen Wettkampf. Am nächsten Tag sollte die Katzenolympiade weitergehen mit dem Weitsprung-Bewerb, der noch am Abend nach der Siegerehrung ausgelost wurde.

 

Wer dort die Schnauze vorne haben wird, wird aber erst am nächsten Tag entschieden. Momentan lag ich mit Platz eins und zwei in der Zwischenwertung an der Spitze, aber es waren ja noch zwei wichtige Bewerbe ausständig und die mussten erst einmal geschafft werden.

 

Jedenfalls war ich der Gesamt-Goldmedaille, der grossen, um einen Schritt näher gekommen…