Wieder wurde es eine relativ ruhige Nacht. Kauno und ich hatten je eine kleine Goldmedaille erobert, jeweils in unseren Spezialdisziplinen, das bescherte uns einen gesunden Schlaf. Kauno schlief im Fauteuil im grosszügigen Zimmer, ich im Bett bei Herrlis Füssen. Entspannt warteten wir auf das Aufwachen unseres Besitzers. Um zirka 6 h morgens assen wir eine Kleinigkeit, danach gingen wir hinüber zum Veranstaltungsort, wo wiederum viele Katzen beim Aufwärmen waren. Der Start zur Weitsprung-Konkurrenz war mit 9 Uhr angegeben, und viele kleine Wettbewerbsstätten wurden jetzt aufgebaut. 150 Artgenossen waren noch übrig geblieben und mussten an 10 Weitsprung-Anlagen dem Finale entgegen springen. In diesem Finale werden wieder nur 16 Teilnehmer zugelassen, aber gerade hier war es offen, wer am Ende die Schnauze vorne haben würde. Favoriten gab es keinen, denn keiner wusste die Bestweiten der anderen. Viele Vermutungen wurden angestellt, und am Ende glaubten alle, dass einer von uns beiden – Kauno oder ich – wohl das Weitsprungfinale gewinnen würde.
Früh am Morgen wurden auch die Ergebnisse der Vortage und das vorläufige Zwischenklassement den Besitzern und Trainern überbracht, welches mein Herrchen uns auch vorlas. Ich wusste, dass ich derzeit mit 90 Punkten in Führung lag – 40 Punkte aus dem Bewerb „Hoch/Weit“ und 50 Punkte aus dem Sprint. Kauno, Kenzo von Katzendorff und Johnny Cat lagen hier punktegleich mit jeweils 70 Zählern auf Platz zwei. Platz fünf und sechs belegten Bengal Bengali (38 Pkt.) und, überraschend, Urs Kätzli (30 Pkt.), mein Kumpel aus der Schweiz. Unser dritter österreichischer Kater „Toro“ Thaler rangierte aufgrund seines 6. Platzes im Sprint-Bewerb auf dem für ihn überragenden 11. Gesamtplatz – ( 24 Punkte) – im Zwischenklassement. Der wilde „Rambo the Cat“ aus Australien belegte hinter dem griechischen Meister Gregorios Katzaros (Rang 7, somit 29 Punkte), mit Carlo Panutto den 8. Rang mit 27 Zählern. Die weitere Reihenfolge im Klassement vor dem Weitsprung- und dem Hochsprungbewerb war wie folgt: Zehnter wurde Pico Zorro aus Spanien (25 Pkt.), Zwölfter Piat Kelzo aus Slowenien (20 Pkt.), der 13. Platz ging an den monegassischen Vertreter Kitt von Monaco, 14. wurde der Kater aus China, Mao Miau Mi (16.P). Die weiteren Platzierungen: 15. ex aequo Francis Chatnoir, Frankreich, und Géza Töltö aus Ungarn (jeweils 12 Punkte), der 17. Platz ging an den finnischen Meister Piilla Kaununnen (8 Pkt.), den 18. Teilten sich Ziro Mičič, Kroatien, und Akira Haio, Japan, mit je 6 Punkten. Der schwedische Kater Kalle Svedsson belegte dank seines 14. Platzes im Bewerb „Hoch/Weit“ den 20. Platz mit 4 Punkten, und als Letzter in der vorläufigen Wertung kam noch Ali Ben Katz aus Ägypten mit seinem 16. Platz in „Hoch/Weit“ auf Platz 21 (1 Zähler) in der Zwischenwertung.
Aber nun stand der dritte, und meiner Meinung nach spannendste, Bewerb auf dem Programm. Keiner der startenden Kater wusste, wer hier der wirkliche Favorit war – und es gab immerhin 150 Teilnehmer an dieser Konkurrenz. Kauno und ich wurden wieder nervös, als wir zu den Spielstätten gerufen wurden. Ich war neuerlich in einer Gruppe mit sehr, sehr starken Teilnehmern. Kauno hatte es besser; seine Gruppe war nicht so stark, und seine Mitstreiter auch relativ unbekannte Grössen. Klar hatte ich wieder Johnny Cat und Bengal Bengali in meine Gruppe zugelost bekommen, und ich wusste, dass diese beiden Kater sehr stark im Weitsprung waren. Überhaupt – man hörte Wunderdinge über Bengal, der ja ein Bengalischer Kater war und bekannt für seine Weitsprünge. Bei der letzten Olympiade hatte er die „kleine Silbermedaille“ in dieser Disziplin gewonnen. Ich hatte das erste Mal das Gefühl, dass ich nicht ins Finale kommen würde – und hatte Angst. Ich sprach noch kurz vorher mit Kauno darüber, doch er legte seinen Schwanz über mich und tröstete mich. Er sprach zu mir: „Wenn du hier nicht so gut abschneidest, weil du in einer starken Gruppe bist und vielleicht nicht ins Finale kommst, ist es nicht so schlimm; du hast ja noch den Hochsprung-Bewerb, und da bist du einsame Klasse!“ Ich bemerkte zu ihm: „Ja, aber wenn ich hier ausscheide, habe ich keine Chancen mehr auf die „grosse Goldene“. Traurig blickten wir einander an und gingen zu den Kampfstätten.
„Heute muss ich gewinnen“, rief mir Johnny Cat von weitem zu und bereitete sich auf seinen ersten Sprung vor. Sein Weltrekord liegt bei 8,90 Metern: diese Weite wurde im vorigen Jahr von Johnny in Budapest aufgestellt – bei der letzten Olympiade für Katzen. Schon sein erster Sprung war bemerkenswert. Die Kampfrichter maßen 8,80 Meter – und das war erst sein Einführungssprung. Siegessicher kam er zu mir und grinste mich an: „Benny, heute bin ich dran mit dem Gewinnen“. Jaja, dachte ich mir, was soll ich tun, ich habe zwar fleissig trainiert, aber der Weitsprung ist nicht meine Lieblingsdisziplin. Prompt fiel mein Sprung schlechter aus: nur 8,30 Meter. Das war nicht genug. Aber ich hatte ja noch zwei Versuche, und Bengal war auch noch da. Doch der sprang im ersten Versuch 8 Meter 55 und schlug mich schon bei meinem ersten Sprung. Der zweite Sprung ging total daneben – ich hatte viel zuviel Gegenwind und kam nicht auf eine ansprechende Geschwindigkeit – nur 7,80 Meter.
Sogar Rambo the Cat übertraf mich mit 8,35 Metern im zweiten Versuch. Dann kam wieder Johnny Cat in seinem dritten Versuch und schaffte wieder 8,80, war somit natürlich für das Finale qualifiziert, ebenso Bengal, der seine 8,55 Meter nicht mehr übertreffen konnte. Rambo sprang in seinem dritten Versuch 8,60 und war somit Zweiter und im Moment auch qualifiziert, denn jeweils die ersten drei Teilnehmer aus den Gruppen wurden zum Finale zugelassen. Sogar Zai Con aus Südkorea sprang 8,44 und war somit besser klassiert als ich.
Jetzt kam es auf den letzten Sprung an. Ich ging vor zum Anlauf und hatte kein gutes Gefühl. Alle kamen, um mich zu sehen; alle, auch jene, die in anderen Gruppen angetreten waren. Sie waren neugierig, wie es mir, als „current leader“ gehen würde.
Ich rannte los. Diesmal war es windstill. Ich spang ab und flog durch die Luft. Nachdem ich gelandet war, blickte ich mich sofort um und sah die Kampfrichter meinen Sprung vermessen. 8 Meter 53cm !!!! Nicht geschafft, nur Vierter im Ausscheidungskampf.
Der Schock sass tief. Jetzt konnte ich meine Hoffnungen auf die „grosse Goldene“ begraben. Traurig trabte ich zurück in unsere Aufenthaltszone und war bitter enttäuscht. Enttäuscht von mir selbst. Aber es half nichts. Ich war im Weitsprung im Vorbewerb ausgeschieden.
Kauno hatte seinen Vorkampf mit 8,33 in seiner Gruppe an der zweiten Position beendet und war glücklich. Er sagte mir: „Mein Freund, ich hatte eine leichte Gruppe und du nicht: Johnny, Rambo und Bengal ! Alle wahnsinnig starke Weitspringer, du brauchst dich nicht zu schämen, morgen ist der Hochsprung-Bewerb, da kannst du zurück schlagen!“ Ich wimmerte und haderte mit meinem Schicksal, dachte an Bella – und sofort wurde mir wieder warm ums Herz. Mein Herrchen sah natürlich meine Verzweiflung und nahm mich auf seinen Arm, streichelte mich und sprach mir Trost zu. „Benny, so etwas kann passieren – mach dir nichts draus, morgen ist ein anderer Tag, und dann kannst du deine Qualitäten ausspielen.“
Das Finale mit den besten 16 Teilnehmern schaute ich mir nur deshalb an, weil mein Kumpel daran teilgenommen hatte. Kauno war in dieser Disziplin zwar nicht Weltklasse, aber an diesem Tag wuchs er über sich hinaus. Schlussendlich beendete er diesen Bewerb mit 8,74 Metern und einem dritten Platz, den ihm niemand zugetraut hatte. Für alle war es eine Sensation, aber auch, dass Bengal Bengali noch vor dem unbekannten Seppo de Angelis aus Italien die kleine Goldmedaille im Weitsprung holte. Er sprang 8,88 und lag somit nur um 2 cm unter dem Weltrekord von Johnny Cat. Der musste sich mit Rang Sechs begnügen und verlor dadurch viele Punkte, die ihm vielleicht auch für die „Goldene“ abgehen könnten. Für ihn war bei 8,66 Metern Schluss. Er konnte seine Weite aus den Vorentscheidungen nicht mehr verbessern. Jedenfalls war die Olympiade wieder äusserst spannend geworden, denn auf den Plätzen 4 und 5 landeten wieder Aussenseiter, nämlich Piilla Kaununnen mit 8,72 Metern und Kalle Svedsson mit 8,70 Metern.
Die weiteren Reihungen: Platz 7 ging an meinen Freund Urs Kätzli aus der Schweiz, Rang 8 an den französischen Kater Francis Chatnoir, Neunter wurde der sensationelle Ali Ben Katz aus Ägypten, mein treuer Freund aus Deutschland Kenzo wurde nur Zehnter, aber mit seiner persönlichen Bestleistung von 8,35 Metern. Der elfte Rang ging an den jungen ungarischen Kater Géza Töltö mit 8,22 Metern. Der unauffällige Ali Kerber aus der Türkei kam immerhin auf Platz 12 und holte sich 8 Punkte für die Gesamtwertung, der 13. Platz ging an Ken Stain aus Kanada. Dieser Kater war ein sehr interessanter Bursche, denn er war schon knapp am Alterslimit von 6 Menschenjahren und somit der älteste Teilnehmer in diesem Feld. Rang 14 und 15 gingen an die Newcomer Solo Sar aus Portugal und Minko Siric aus Serbien, die das erste Mal an einer Olympiade teilnahmen. Den letzten Platz, demnach den 16., erreichte unser Kollege aus Monaco „Kitt von Monaco“, ein Adeliger. Naja, er erzählte mir später, dass auch der Fürst dieses Kleinstaates ein sehr, sehr guter Sportler sei.
Wenig später bekam mein Herrchen schon die Listen des Zwischenklassements und konnte lesen:
- Kauno Sehrigg, 105 Punkte
- Johnny Cat 94 Punkte
- Benny Farber 90 Punkte
- Bengal Bengali 88 Punkte
- Kenzo von Katzendorff 82 Punkte
- Urs Kätzli 50 Punkte
- Seppo de Angelis 40 Punkte
- Piilla Kaununnen 38 Punkte
- Kalle Svedsson 31 Punkte
- Francis Chatnoir 29 Punkte
- Gregorios Katzaros 29 Punkte
- Rambo the Cat 27 Punkte
- Carlo Panutto 27 Punkte
- Pico Zorro 25 Punkte
- Toro Thaler 24 Punkte
- Géza Töltö 22 Punkte
- Piat Kelzo 20 Punkte
- Kitt von Monaco 18 Punkte
- Mao Miau Mi 16 Punkte
- Ali Ben Katz 16 Punkte
- Ali Kerber 8 Punkte
- Ziro Mičič 6 Punkte
- Ken Stain 6 Punkte
- Akira Haio 6 Punkte
- Solo Sar 4 Punkte
- Minko Siric 2 Punkte.
Somit war etwas eingetreten, was ich nie zu hoffen gewagt hatte, aber auch freudig anerkannte. Kauno war nach drei Bewerben in Führung, und es sollte sich am letzten Tag entscheiden, wer von uns allen am besten abschnitt. Dem Hochsprung-Bewerb sah ich mit grösster Spannung entgegen, und ein wenig traurig legte ich mich an diesem Abend schlafen; auch mit ein wenig Groll mir selbst gegenüber, hatte ich doch im Weitsprung nicht meine Bestweite erreicht und somit meine vorläufige Gesamtführung verloren. Aber mein bester Kumpel lag an der Spitze und das vergönnte ich ihm wirklich, auch wenn es viele, viele andere Kollegen nicht glauben konnten, dass ein Kater, der das erste Mal an so einer grossen Veranstaltung teilnahm, in Führung liegen konnte. Aber wenn man seinen Körperbau einmal angesehen hatte, wusste man, dass es sich hier um einen extrem starken Kater handelte, auch wenn seine rechte Vorderpfote verletzt war. Was wäre geschehen, wenn dies nicht der Fall gewesen wäre…. – nicht auszudenken; er hätte wahrscheinlich alle Teilnehmer geschlagen.
So gesehen hatte ich ja noch eine Chance, wenigstens eine kleine….