Kapitel 23: Das Finale
Der letzte Tag der Katzenolympiade war angebrochen, es waren nur mehr zirka 30 Katzen zum Finale qualifiziert, und zwar alle jene, die in der Punktewertung waren – das waren im Moment 26. Vier Kater durften noch in die Wertung mit den besten Teilwertungen ausserhalb der Punkteränge.
Kauno führte mehr als überraschend diese Wertung an, und zwar mit einem Vorsprung von 11 Punkten auf Johnny Cat und mit 15 Punkten auf mich.
Ich war deprimiert und konnte die halbe Nacht nicht schlafen. Meine Gedanken drehten sich im Kreis. Ständig dachte ich darüber nach, weshalb ich nicht in die Qualifikation für den Weitsprung gekommen war. Was sind schon 2 Zentimeter? Ja, nur um 2 Zentimeter hatte ich diesen so wichtigen Bewerb verpasst.
Eigentlich wollte ich gar nicht mehr zum Hochsprung antreten. Kauno kam zu mir und sagte: „Benny, du hattest Pech, dass du in so einer starken Gruppe mit allen Medaillenanwärtern warst, und deshalb die Qualifikation nicht geschafft hast…. das war echt grosses Pech“. Seine Worte trösteten mich ein wenig, konnten mich aber nicht aus meiner Depression reissen. Ich lag im Zimmer herum und wollte eigentlich gar nichts zum Frühstück fressen, sondern nur schlafen; aber mein Herrchen war für mich da und sprach mir gut zu: „Schau, Benny, es nützt nichts, wenn du hier um deine vergebenen Chancen trauerst. Schau nach vorne und versuche, im Hochsprung alle Kräfte, die du hast, abzurufen“. Er war gar nicht böse – oder so ähnlich – war ich ihm doch über die Jahre so sehr ans Herz gewachsen. „Es macht nichts, wenn du keine Medaille bekommst, das (Katzen)-Leben geht weiter; und denk auch an Bella, die zu Hause sitzt und auf dich wartet.“
„BELLA!!!!!“ Plötzlich war ich hellwach. Ja, Bella war für mich wieder allgegenwärtig. Kauno, der die grosse Goldmedaille in greifbarer Nähe spürte, baute mich wieder auf, indem er sagte: “ Benny, ich bin im Hochsprung zwar äusserst gut, aber du bist Weltklasse, und du hast jetzt die Chance, diesen Bewerb zu gewinnen – und dann bist du sicher wieder in den Medaillenrängen“. Sprach‘s und begab sich langsam auf den Weg zur Spielstätte.
Mein Herrchen nahm mich auf die Schultern und ab ging‘s zum Finale.
Dort waren schon fast alle versammelt, und Kauno wurde von Menschen umlagert. Es waren sogar Zeitungs-Reporter und Kameraleute von Fernsehsendern anwesend, die den letzten Bewerb der Katzenolympiade filmten.
Auch ich wurde auf Herrchens Schultern gefilmt, und er wurde auch interviewt. Er sagte sinngemäss, dass seine zwei Schützlinge, also Kauno und ich, auf Medaillenkurs lägen, und dass ich wohl auch noch eine Chance auf die „grosse Goldene“ hätte, aber dazu müsste ich heute den Bewerb gewinnen.
Nun begannen die Qualifikationsbewerbe für den Hochsprung. Wir waren drei österreichische Kater am Start. Der Styroporwürfel wurde aufgestellt und die Seitenteile mit Plexiglas abgedeckt. Es blieb nur ganz oben ein kleiner Bereich (zirka 2 Zentimeter) frei mit Styropor, damit wir uns mit den Vorderläufen hochziehen konnten.
Man muss sich das so vorstellen: Ein 2 Meter hoher Styroporwürfel mit genau dieser Seitenlänge wird auf einer ebenen Fläche aufgestellt, rundherum mit Plexiglas verkleidet, damit die Katze wirklich bis nach oben kommen muss, um sich dann an der Oberfläche festzukrallen und hinaufzuziehen. Wenn das geschafft war, werden unter dem Würfel immer mehr Platten aufgelegt, solange, bis wir diese Höhe nicht mehr schaffen und an der glatten Plastikwand umkehren und zurück ins Gras springen müssen. Zu unserer Sicherheit wird noch zusätzlich Schaumstoff untergelegt, damit wir uns beim Abgang nicht verletzen.
Ich war ziemlich nervös, als ich diesen grossen Würfel sah, denn 2 Meter waren schon eine ziemliche Höhe, aber wir alle waren uns einig, dass dies machbar sei. Toro Thaler schaffte die Qualifikation mit sehenswerten 2,40 Metern. Eine enorme Leistung. Er war auch in den österreichischen Meisterschaften mein grosser Konkurrent gewesen.
Aber diese Meisterschaften konnten mit einer Olympiade nicht verglichen werden. Hier war die Weltklasse am Start; und zwar aus 50 Nationen. Heute, beim Finale, waren es natürlich nicht mehr so viele Nationen, aber immer noch genug, um grossen Respekt vor so einem Starterfeld zu haben. Die weltbesten Kater im Katzenvierkampf waren übrig geblieben, und ich hatte grosse Freude, dass auch noch Toro Thaler im Bewerb war, mein Kumpel aus Osttirol. Vor Kauno zog ich in meinem Innersten den Hut – wie es die Menschen auszudrücken pflegen – denn das Resultat war wirklich beachtenswert. Führender im Zwischenklassement; ich war schwerstens beindruckt. Hätte ich mich doch nur bei der Weitsprungkonkurrenz besser platzieren können! Aber es half nichts. Ich musste bei der heutigen Hochsprungwertung alles auf eine Karte setzen. Ich war immer noch traurig, aber auch zornig auf mich selbst.
Die Qualifikation ging weiter, und bis zu meinem Antreten hatten es schon 25 Teilnehmer geschafft. Die besten sechzehn durften ins alles entscheidende Finale aufrücken. Bisher waren viele meiner Freunde schon qualifiziert, und ich sollte als Drittletzter, da ich ja auf dem dritten Zwischenrang lag, drankommen. Aber vorher mussten noch Bengal und Kenzo zur Qualifiktion antreten. Die Oberkante des Würfels war schon sehr abgenutzt, als Kenzo an den Start zum Sprung ging. Lässig schaffte er 2,50, kam sogar beinahe mit seinem ganzen Körper oben an – ohne sich anzukrallen – und war natürlich qualifiziert. Jetzt kam Bengal Bengali an die Reihe. Auch er schaffte die Qualifikation souverän mit 2,50 Metern. Jetzt war ich an der Reihe. Mein persönlicher Rekord bei den österreichischen Meisterschaften waren 2,75 gewesen, also musste ich mich hier nicht fürchten. Dass ich innerlich noch vor Wut auf mich selbst bebte, war allerdings eher kontraproduktiv. Also musste ich mich wieder beruhigen und mich ganz auf das kommende Finale konzentrieren. Ich sprang mit Mühe 2,70 und qualifizierte mich somit für das Finale. Auch der Zweitplatzierte, Johnny Cat, sowie auch Kauno schafften problemlos die doch schwierige Qualifikation. Kauno allerdings mit Schmerzen in seiner Vorderhand.
Das Finale kam rascher auf uns zu, als mir lieb war. Und plötzlich passierte etwas Wunderbares. Herrchen kam mit seinem Handy zu mir, und während er noch mit Ines, seiner Freundin, sprach, sah er mich unentwegt an. Er nickte, blickte wieder auf mich und nickte nochmals einige Male. Dann hielt er das Handy an mein Ohr und am anderen Ende war: BELLA.
Wir sprachen natürlich schnell in unserer Katzensprache, und Bella wünschte mir viel Glück zum Finale und erklärte mir am Telefon, dass sie ein Katzenleben lang mit mir zusammen sein wolle. Ein Glücksgefühl ersten Ranges durchdrang mich, sodass meine Katzenseele auf einmal richtig gross und weit wurde. Freudig miaute ich ihr zurück: „Ja, Bella, das will ich auch!!“ Wir verabschiedeten uns, und ich konzentrierte mich wieder auf den Bewerb. Plötzlich war wieder Kraft und Energie in meinen Körper geschossen, und meine Muskeln spannten sich. Das Finale konnte kommen, ich hatte keine Angst mehr.
Und das Finale kam. Sechzehn Kater standen um den Würfel herum und warteten, bis sie aufgerufen wurden. Darunter Kaliber wie Urs Kätzli, Rambo the Cat, Kalle Svedsson, Piat Kelzo und natürlich die 5 Führenden in der Zwischenwertung, also Kauno, Johnny Cat, ich, Bengal Bengali und Kenzo. Toro hatte sich mit 2,40 auf dem 14. Platz qualifiziert und war glücklich, ins Finale gekommen zu sein. Geschafft hatten es ausserdem noch: der Senior unter uns, der kanadische Kater Ken Stain, Carlo Panutto, Seppo de Angelis, Ali Ben Katz, Pico Zorro sowie der noch unbekannte Kai Dörfli aus Liechtenstein. Das war eine echte Sensation, denn Kai kam in der Qualifikation auf Platz 7; und das war mehr als beachtenswert.
Es ging los. Den Anfang machte Ali Ben Katz. Er sprang 2,35 und konnte sich gerade noch auf den Würfel ziehen. Er beliess es dabei und beendete das Finale. Pico Zorro kam ebenfalls auf 2,35, ebenso wie auch Ken Stain, der Senior aus Kanada. Dann kam mein Kumpel Toro. Bravourös schaffte er 2,55, die sein Herrchen und Trainer ihm aufgelegt hatte. Letztlich kam er im Finale dann auf den hervorragenden neunten Disziplinen-Rang, was auch eine kleine Überraschung war. Es sprangen nach der Reihe Seppo de Angelis, Piat Kelzo und Kalle Svedsson, die auf beachtliche 2,50 kamen. Somit waren alle drei Teilnehmer auf Platz 10 im Klassement ex aequo. Zu diesem Zeitpunkt führte der sympathische Osttiroler.
Als nächster wurde der australische Kater „Rambo the Cat“ aufgerufen. Er stellte sich vor den Würfel und sprang mit Mühe 2,57, was ihm die Zwischenführung einbrachte und Toro auf Rang zwei verwies.
Carlo Panutto schaffte ebenso mit grösster Mühe 2,58 und konnte Rambo noch abfangen.
Jetzt war der Liechtensteiner Kai Dörfli dran. Alle wurden nervös, weil er sich 2,75 auflegen liess. Wie optimistisch musste der wohl sein? Sein Trainer stand neben ihm und flüsterte ihm pausenlos etwas ins Ohr. Tief ging sein Körper in die Knie und mit einem mächtigen Satz sprang er die 2,75. Seine Krallen hingen an der Oberkante des Würfels und er zog sich mit Mühe hoch; aber es war die Führung. Erleichtert sprang er vom Würfel herab und lächelte mich an. „Hab ich es doch geschafft; so hoch bin ich noch nie gesprungen. Aber jetzt lass ich es gut sein. Ihr müsst es ja auch erst einmal schaffen“, grinste er. Dann ging er zu seinem Herrchen, der ihn zärtlich auf den Arm nahm. Es war schön anzusehen, wie glücklich beide waren. Zwischenzeitlich war der Liechtensteiner auf Platz eins.
Jetzt wurde es ernst. Bei den letzten sechs Katern aus der Qualifikation wurde im K.O – System gesprungen. Dabei wurde jene Höhe gemessen, die in drei Versuchen die Beste war.
Zunächst wurde der Würfel auf 2,60 eingestellt, und Kauno zitterte. „Ich schaffe das nicht nochmals“, rief er mir zu. „Nein, das schaffe ich nicht, das ist mir zu hoch“. Ich schrie zu ihm hinüber: „Doch, mein Freund, du schaffst es!“ und ging mehrere Schritte zur Absperrung. Die anderen Kater waren erstaunt, dass ich Kauno anfeuerte, war er doch in der Zwischenwertung in Führung und mein Konkurrent. Aber wir waren auch die besten Freunde – und Freunde halten zusammen. Kauno sprang ab, und alles in ihm streckte sich. Noch im Flug streckte er seine Krallen aus, und oben angekommen, hackten sie sich in das Styropor. Es schien, als hätte Kauno keine Kraft, sich nach oben zu ziehen. Er wimmerte und schrie laut, aber irgendwie konnte er sich mit seiner linken Vorderpfote nach oben ziehen. Geschafft. Versuch gültig. Als er wieder zu uns herunter sprang, merkte ich seine Schmerzen in der rechten Pfote, und er sagte zu mir: „Benny, ich kann nimmer, ich gebe auf. Meine Vorderhand schmerzt mich zu sehr; und ein sechster Platz ist auch schön, aber ich will meine Pfote nicht mehr belasten“.
Ich verstand Kauno nur zu gut, und auch mein Herrchen hatte die Signale verstanden und liess es dabei bewenden. Er hatte eingesehen, dass mein Kumpel nicht mehr konnte und liess Kauno auf der nahen Wiese ausruhen. Jetzt kam Bengal Bengali. Mit seinen langen Hinterläufen musste er eine gute Leistung abrufen können, aber er kam in allen seinen drei Sprüngen nicht über 2,72. Trotzdem war er noch vor meinem Freund Kauno in der Reihung.
Diese Konkurrenz musste die Entscheidung bringen, wer von uns sechs Titelanwärtern es wohl schaffen würde, sein Land würdevoll zu vertreten und die „grosse Goldene“ zu erringen. Als nächstes kam Kenzo dran. Seine ersten beiden Versuche waren bei 2,73 gescheitert und er war stinksauer auf sich selbst. Sein Lächeln war verschwunden und wich einer ernsten Miene. Im letzten Versuch liess er sich sagenhafte 2,91 auflegen und konzentrierte sich mit all seinen Sinnen auf diesen Sprung. Verbissen stand er vor dem Würfel und blickte hinauf. Ja, es war schon sehr, sehr hoch – und…. es war Weltrekordhöhe. Alles war still auf dem Wettkampfareal. Keiner der Teilnehmer, keiner der Besitzer und Trainer sprach ein Wort. Die Zuschauer und Presseleute setzten sich in Position und blickten gespannt hinüber zum Würfel. Die Plastikverkleidung musste für diesen Sprung demontiert und wieder etwas höher am Würfel angebracht werden, damit sich für Kenzo keine Vorteile ergeben würden. Wenn er diese Höhe nicht erreichen würde, würde er am Plexiglas abrutschen und der Versuch wäre ungültig.
Man konnte eine Stecknadel fallen hören, als Kenzo zum Sprung ansetze. Ganz tief ging er in die Hocke, um mit äusserster Kraft abzuspringen. Kenzo flog förmlich hinauf auf sein Ziel: den Styroporstreifen am oberen Rand des Hindernisses. Noch im Flug konnte man ein leichtes Lächeln erkennen, als er sich oben, 1 Zentimeter über der Plastikabdeckung in das leichte Material einhakte. Die Krallen schienen kein Ende zu nehmen, so tief hieb er sie hinein, und – zog sich nach oben. „Versuch gültig. Weltrekord“, schrie der Kampfrichter, und Kenzo sprang mit seinem breitesten Grinser, den er je aufgesetzt hatte, vom Würfel herunter. Geschmeidig landete er neben mir im Gras. Ich legte meinen Schwanz um seinen Körper, um ihm meine Bewunderung zu zeigen, und wir gingen ein Stück. Es war kurze Pause. Wir waren jetzt nur mehr zu dritt in der Wertung. Die anderen Kater hatten schon alles hinter sich.
Nach einer kurzen Auszeit ging es weiter. Jetzt war ich an der Reihe. Ich begann einmal mit 2,80, die ich mühevoll schaffte und versuchte mich dann bei 2,90. Ich dachte mir: Hopp oder Drop. Die recht guten 2,80 waren ja schon etwas, auf dem ich aufbauen konnte, sodass ich hier im Gesamtklassement sicher unter den ersten Fünf gewertet sein würde; aber es war mir zu wenig. Ich wollte eine Medaille. Sollte es wieder „nur“ die Bronzene werden? Ich dachte wieder an Bella und ihre Worte am Telefon, und es durchflutete mich eine Kraft, die ich bisher noch nicht gekannt hatte. Mein Herz schlug wie wild, als ich vor den Würfel trat. Ich sah, dass er in der Mitte schon sehr ramponiert aussah. Die Krallen der Kollegen hatten es bewerkstelligt, dass er sich in diesem Zustand befand.
Ich ging also ein wenig zur Seite nach links; dort war noch alles in Ordnung. Zunächst konzentrierte ich mich ganz auf die obere Kante und auf die 2 cm Styropor, die oberhalb der Plexiglasverkleidung zu erkennen waren. Meine Muskeln strafften sich, während mir Gedanken an die Staatsmeisterschaft durch den Kopf schossen, an mein Herrchen, das mit mir so aufopfernd trainiert hatte und natürlich an meine liebe Bella, die nur darauf wartete, dass mein Besitzer anrufen würde. Ich dachte auch an Kauno, der mir jetzt zusah und mir mit Sicherheit die Pfoten hielt, waren wir doch die besten Kumpels, die Katzen nur jemals sein können.
Ich sprang ab und flog nach oben. Meine Muskulatur machte es möglich, die obersten 2 Zentimeter zu erreichen und meine Krallen einzusetzen. Jetzt zog ich mich sicher hinauf. Meine Vorderläufe waren ja gesund und gut trainiert, also war es nicht so eine schwierige Sache. Schwierig war nur der hohe und lange Sprung gewesen. Aber ich hatte es geschafft. Die Kampfrichter werteten diesen meinen 2. Sprung als gültig, und darum ging es ja. Hätte Kenzo nicht 2,91 erreicht und damit neuen Weltrekord, hätte ich diesen hiermit egalisiert. So aber war ich im Moment an der fantastischen zweiten Position, und meine Aufregung wich der Freude über diese gelungene Leistung. Ich war jetzt auch in der Gesamtwertung an der zweiten Stelle, musste aber noch zittern um diesen Platz, denn Kauno kam ja noch nach reiflichem Überlegen dran.
Ich wartete mit meinem dritten Versuch, bis Johnny Cat und Kauno gesprungen waren. Die drei Führenden in der Gesamtwertung durften sich das Prozedere aussuchen; das war in den Wettkampfregeln so verankert, was aber nur einige genau wussten – mein Herrchen zum Beispiel, der zu den Kampfrichtern ging und diese Bitte um Auszeit, mit dem Hinweis auf die Statuten der Olympiade deponierte. Es wurde seinem Ersuchen entsprochen, sodass ich eine kleine Auszeit hatte, um mich zu sammeln.
Johnny Cat sprang in seinen drei Versuchen nie über 2,85, was letztendlich nur Platz drei in der Disziplinen-Wertung ergab. Ziemlich sauer über seine – für ihn – mässige Leistung legte er sich zu mir ins Gras. “ Dass ich heuer so schlecht bin, hätte ich mir nie gedacht und auch nicht, dass mich irgendjemand anderer schlagen kann“, sagte er zu mir mit etwas traurigem Ton. Ich antwortete ihm lächelnd: „Ja, sorry, Johnny, so kann’s gehen. Aber tröste dich: erstens ist dies meine letzte Olympiade und zweitens hast du ja nächstes Jahr, wenn Kauno und ich nicht mehr dabei sind, alle Rechte auf Gold“. „Hihi, lustig“, grinste er jetzt.
Nun blickten wir beide aber gebannt auf Kauno. Konnte er seine Führung im Gesamt-klassement verteidigen? Sein zweiter Versuch bei 2,60 schlug fehl, obwohl er in der Vorqualifikation diese Höhe geschafft hatte. Er konnte sich nicht an der Oberkante festklammern und musste daher den Sprung abbrechen und herunter springen. Versuch misslungen. Kauno blickte zu mir herüber. Sein Blick war traurig. Ich schrie zu ihm hinüber: „Kauno, lass dir 2,65 auflegen – du schaffst es, wenn du an deine Raja denkst. Ich habe es auch geschafft. Unser Herrchen wird sofort nach deinem Sprung mir ihr telefonieren, dann kannst du ihr von deinem Erfolg erzählen. Wenn du die 2,65 schaffst, bist du Sechster im Hochsprung und dann punktegleich mit Johnny Cat auf dem dritten Gesamtrang, hast also die „grosse Bronzene“ gemeinsam mit dem vorjährigen Olympiasieger. Das ist doch hervorragend, Kauno, oder?“ …und noch einmal schrie ich: „Denk an Raja, sie wird stolz auf dich sein!“
Kauno bereitete sich auf seinen letzten Sprung vor, somit auf die letzte Action bei dieser – für uns – so erfolgreichen Olympiade. Was ging jetzt in seinem Kopf vor? Kauno erzählte mir später, dass sein ganzes Katzenleben vor ihm abgelaufen war: wie er geboren wurde, nach Wien kam, ausriss, in den Parkanlagen lebte, mich kennen lernte, den Autounfall hatte, seinen Kampf mit Devil, die freundliche Aufnahme unseres Herrchens in unsere Wohnung und letztendlich die Bekanntschaft mit Raja, die er sehr ins Herz geschlossen hatte.
Kauno stand nun vor dem Würfel. Er spürte seine verletzte Pfote nicht mehr, war mit Adrenalin vollgepumpt. Seine äusserst starken Hinterbeine strafften sich, und als er absprang, stiess er einen lauten Schrei aus. Er krallte sich am Styroporband fest, zog sich hinauf – und hatte es geschafft. Glücklich sprang er herab und lief sofort zu mir. Wir legten unsere Schwänze übereinander und miauten was das Zeug hielt.
Jetzt kamen sie alle. Wir mussten uns aufstellen, es wurden Fotos von uns und unseren Besitzern gemacht, während wir auf das offizielle Ergebnis warteten. Mir war im Augenblick bewusst, dass ich die grosse „Silberne“ gewonnen haben musste, denn Herrchen kam auf mich zugerannt und drückte mich so fest, dass ich fast keine Luft bekam. Fotografen, Kameraleute, Journalisten und viele Zuseher kamen jetzt über das Gras der Spielstätte gelaufen, um uns zu gratulieren. Auch die anderen Finalisten waren unter uns und wir tanzten alle vor Freude, aber auch vor Erleichterung, dass die grosse Anspannung ein Ende hatte. Die Ergebnislisten wurden ausgedruckt und mein Herrchen las sie mit grosser Freude. Auch die Besitzer unserer Konkurrenten kamen zur offiziellen Siegerehrung und lasen gemeinsam das Klassement:
Im Hochsprung erging folgende Bewertung:
- Kenzo von Katzendorff (D) 2,91 (Weltrekord) kleine Disziplinen- Goldmedaille
- Benny Farber (A) 2,90 (alter Weltrekord eingestellt) kleine Disziplinen-Silbermedaille
- Johnny Cat (USA) 2,85 kleine Disziplinen – Bronzemedaille
- Kai Dörfli (Lie) 2,75
- Bengal Bengali (Ind) 2,72
- Kauno Sehrigg (A) 2,65
- Carlo Panutto (It) 2,58
- Rambo the Cat (Aus) 2,57
- Toro Thaler (A) 2,55
- Seppo de Angelis (It) 2,50
- Piat Kelzo (Slo) 2,50
- Kalle Svedsson (S) 2,50
- Ali Ben Katz (Ägy) 2,35
- Ken Stain (Can) 2,35
- Pico Zorro (Esp) 2,35
Das war das Ergebnis vom Hochsprung. Auf das Gesamtklassement mussten wir noch etwas warten. Die Aufregung der noch verbliebenen Teilnehmer wurde von Minute zu Minute grösser. Unsere Herrchen und Besitzer waren noch nervöser als wir Katzen, aber es war schön, so geliebt zu werden. Mein Herrchen rief sofort nach dem Bewerb seine Freundin Ines an und liess sich Bella und Raja geben. Was wir vier Katzen in unserer Sprache miteinander erzählten, konnte natürlich kein Mensch verstehen, aber allen fiel auf, wie aufgeregt wir alle waren. Wir lagen im Gras und waren einfach nur glücklich. Kauno lächelte unentwegt, denn er hatte die Bronzemedaille gewonnen, so wie ich im Vorjahr, aber davon erzähle ich später….